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Sonntag, 14. Juli 2019

Ein Besuch im Krankenhaus

Am Nachmittag kam mir auf der Station eine Mittvierzigerin entgegen. An der Hand einen Buben im besten Lausbubenalter, dem es nicht passte, dass er mit ins Krankenhaus musste. Er quengelte und brabbelte ein »I mog ned!« Die Frau unterband das mit einem »A Ruah gibst!«
Dann sah sie mich.
»Ja, de Herr Dokta!« Grüß Gott!« Sie steuerte auf mich zu. Ich erwiderte ihren Gruß, der herzlich war und ehrliche Freude ausdrückte. Natürlich blieb ich stehen. Wir gaben uns die Hand. Der Bub war still geworden und schaute zu mir hoch.
Ich war mir nicht sicher, ob sie die Oma oder die Mutter war. In dem Alter konnte beides zutreffen.
»Gib dem Herrn Dokta die Hand!« Er tat es und ich fragte, wie er heißt und ob sie jemanden besuchten.
Als der Knabe nicht gleich antwortete, kam ein: »Na! - der Herr Dokta hot Di was g’frogt!«
Nun erfuhr ich, dass er Ludwig heißt und dass sie seine Oma besuchen wollten.
»Wie geht’s denn da Oma, Herr Dokta?«
Etwas ratlos fragte ich nach: »Welcher Oma denn?« Darauf kam die Antwort: »Unserer Oma, Herr Dokta! Die ham’s doch erst gestern opariert!«
Noch bevor ich meine gestrigen Operationen im Geiste durchgehen konnte, legte sie nach: »D’ Oma Berta, die Stiglbäuerin z’Poigham!«
Jetzt war bei mir der Groschen gefallen.
Wenn man ein halbes Leben lang an einem kleinen Landkrankenhaus beschäftigt war, kennt man eine Menge Leute. Viele Gesichter sind einem vertraut, aber oft fehlen die Namen dazu.
»Kennens mi no?« Die Betonung lag deutlich auf dem »mi«.
Sie wartete die Antwort erst gar nicht ab. »Vor zwanzig Jahren ham’s mi am Blinddarm operiert!« Nach einer Pause fuhr sie fort, »Oh mei Herr Dokta, da warn mer noch jung!
Sie schickte ein herzliches Lachen nach.
»Guad schaun’s aus, Herr Dokta!, wirklich guad!«
So kam es, dass ich den Ludwig mit seiner Mama ins Krankenzimmer der Stiglbäuerin begleitete.
Einen Tag nach der Gallen-OP ging es ihr gut. Ludwig bekam, auch wenn er sich wehrte, von seiner Oma einen satten Schmatz auf die Backe. Die Tochter der Stiglbäuerin stellte eine Flasche roten Traubensaft der Marke Rotkäppchen auf den Nachttisch. Nahezu alle Patienten werden mit rotem Traubensaft oder Johannisbeersaft beglückt, das kann ich nach langjähriger Beobachtung sagen. Wegen der vielen Vitamine glauben sie, das würde den Patienten gut tun. Dabei ist dieses Zuckerwasser alles andere als zuträglich.
»Aber bitte unbedingt mit Wasser verdünnen!«, empfahl ich. Ich hatte es mir abgewöhnt, die Besucher davon zu überzeugen, dass so ein Gesöff für die »Patienten« nicht gut sei.
»Wissen’s noch Herr Dokta, wie sie bei uns im Dorf einen Rotkreuzkurs gehalten haben?«, fragte mich meine Patientin, die Stiglbäuerin. Jetzt dämmerte es mir. In meinen jungen Jahren war ich recht aktiv im Roten Kreuz. So manchen Erste-Hilfe-Kurs bestritt ich in den Dörfern.
Damals, vor vielleicht fünfundzwanzig Jahren kam ich nach einer abendlichen Übungsstunde auf den Stiglbauerhof. Eine der Teilnehmerinnen, eine fesche Jungbäuerin lud mich zusammen mit dem Sanitäter, der mit mir den Kurs hielt, ein.
Es muss Ende November gewesen sein. Bei reichlich Most und einer vorzüglichen Schlachtschüssel verbrachten wir den Abend. Von der Bäuerin bekamen ich und mein Sanitäter je ein Packerl Geselchtes sowie Blut- und Leberwürscht eingepackt. Erst nach Mitternacht brachen wir auf.
Daran erinnerte mich jetzt meine Patientin.
Ob ich noch wisse, wie der Sanitäter damals hieß, wollte ihre Tochter von mir wissen. Ich wusste es nicht mehr.
»Den Bertl hob i mir glei g’angelt!«, sie lachte verschmitzt dabei. »Heit isser der Stiglbauer und mei Mo!«
Nach einer Pause ergänzte sie: »Da Ludwig is siebene und unser Jüngster!« Dabei schubste sie den Buben nach vorne..
»Unser Dirndl, die Miriam, is sechzehn und da Thomas elfe«! Und im Roten Kreuz iss da Bertl a no!«

Ja, das gibt bei uns im Niederbayrischen freundliche Menschen mit dem Herzen am rechten Fleck.
In diesem kleinen Landkrankenhaus war es eine Freude zu arbeiten. In den allermeisten Fällen erfuhr ich Dankbarkeit und, was viel wichtiger war, Vertrauen.