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Mittwoch, 21. Februar 2018

Die rote Tulpe


»Hast Du Kleb?« Ihr Herz pocht bis zum Hals.
Die großen dunklen Augen verschlingen den jungen Mann.
»Ja, Aischa, ich hab Dir den Kleb mitgebracht!«


Henri lacht und hebt das kleine Energiebündel zu sich herauf in den Jeep. Die letzten Meter hinein in den Vierseithof fährt er im Schritttempo. Die Kindermeute rennt hinterher. Aischa hält mit ihren Händen das vibrierende Lenkrad.
Mit einem Flüchtlingstreck kam sie aus Afghanistan. Um sie herum Menschen, die sie nicht verstand. Irgendwann hörte Aischa mit dem Weinen auf.

Das kleine Dorf war ihr vertraut. Der Wind stetiger Begleiter an den kahlen Berghängen. In einem Moment wurde alles anders. Die ärmliche Lehmhütte brach auseinander, ihr Vater starb in den MG-Salven. Die Mutter wurde von Soldaten verschleppt.
Aus der Felsnische, ihrem Lieblingsspielplatz etwas abseits der Hütte, sah sie mit ihren Kinderaugen die Flammen. Ihr Zuhause gab es nicht mehr.

Eine lange Nacht lang kauerte sie in einer Felsspalte, ihr Herz raste vor Angst. Die Soldaten kamen nicht wieder.

Durch die Tränen sah sie hinunter ins Tal. Ihre Mutter.
Der Abstieg dauerte. Sie erinnerte sich an den Schrei in der Nacht. Der Tschador zerfetzt, überall Blut, der Kupferreif am Handgelenk, das Gesicht ihrer Mutter gab es nicht mehr.

Irgendjemand fand Aischa neben der Piste nach Kabul.

Seit gestern blühen die ersten Kirschbäume. Das leer stehende Anwesen ist ideal für ein Kinderheim. Eine riesige Aufgabe liegt vor den jungen Leuten. Henri macht seinen Zivildienst. Vom ersten Tag an ist er dabei. Einmal am Tag fährt er hinunter in den Marktflecken und macht Besorgungen. Er hat schon mitbekommen, dass die Leute gegen das Asylantenheim sind. 

Zwei Dutzend Kinder leben seit einem halben Jahr mitten in Niederbayern. Um sie herum ländliche Idylle, weite Wiesen, der Wald ist nah!

Der barbarische Krieg hat sie ihrer Kindheit beraubt. Henri will ihnen ein Stück davon zurückgeben.


Der Markt ignoriert den Vierseithof, will mit dem Leben da droben nichts zu tun haben. Henri bekommt das zu spüren, wenn er runter in den Markt kommt.
»Das Geld nehmen sie, ihre Herzen bleiben verschlossen«, sagt er zum Pfarrer. Auch der Herr Pfarrer war in dem halben Jahr nicht oben gewesen. Ein Kruzifix hat er Henri mitgegeben, das soll er im Haus aufhängen. Diese Kinder kennen keinen Christengott, sie haben ihr junges Leben an ein zerschundenes Land verloren.

»Komm!«
Aischa springt raus aus dem Jeep, zerrt Henri am Arm,
»Komm!«
Während die Meute hinein in den Speisesaal tobt, zieht Aischa Henri hinüber zum Gartentor.
»Willst Du keine Kekse?«
Aischa schüttelt den Kopf. Schaut ihn an.
Wenn Henri in diese Kinderaugen sieht, wird er traurig.
Was passiert mit dem kleinen Leben?
Noch ist sie ein Kind, vielleicht 9 oder 10 Jahre alt.
Aischa konnte den Leuten von terre des hommes nichts sagen. Wer sie ist, wo sie herkommt. Ob »Aischa« ihr richtiger Name ist? Ihre Mutter rief sie so!
»Da!«
Sie deutet auf eine rote Tulpe.
»Das ist eine Tulpe.«
»Tulpee?«
»Ja!«
Henri bückt sich, will für Aischa die Blume pflücken. Sie wirft sich mit ihrem kleinen Körper dazwischen. Ihre dunklen Augen verraten Panik. Tränen.
Henri erschrickt.

Leben, verdammt, dieses Kind erinnert ihn, wie kostbar Leben ist.
»Nein, ich pflücke sie nicht.«
Aischa drängt ihn weg. Gemeinsam gehen sie rüber ins Haus.
»Deinen Klebestift, hier.«
Henri kramt in seiner Jackentasche und gibt ihr den Kleb.
»Danke«
Aischa nimmt den Stift, schaut aber immer noch verstört an Henri hinauf.
Plötzlich dreht sie sich um und rennt davon.
Die Kekse, die an die anderen Kinder verteilt werden, interessieren sie nicht.


Henri erledigt seine restlichen Besorgungen, verstaut alles im Magazin. Zuletzt fährt er den Jeep in den Schuppen. Das Lenkrad ist mit Kleb verschmiert, mitten drauf ein Kinderbild, eine rote Tulpe.
Hinter dem Schuppen schauen zwei dunkle Augen hervor. Sie strahlen ihre Freude mitten in Henris Herz.

© by Fabrizius

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