Liebe Freunde, wenn Sie Texte aus meinem Blog verwenden,
bitte geben Sie den Autor an, sonst ist es geistiger Diebstahl.

Montag, 29. Februar 2016

Die indische Vase


Alles hat seinen Platz. In einem bundesdeutschen Haushalt ist das Regel Nummer eins. Die Biergläser kommen in die Glasvitrine zweites Fach von oben, die Suppenteller in den Schrank über der Spüle linkes Fach und Schwiegermamas indische Vase?
Die mag keiner so wirklich. Mal steht sie hinter der Stehlampe. Ja, es ist eine große Vase, sehr groß sogar. Mal wird sie neben die Stereoanlage platziert. Einen richtigen Platz, wo sie immer stehen kann, hat sich noch nicht gefunden.
Letztes Jahr war diese Vase ein Geschenk von Schwiegermama. Aus heiterem Himmel kreuzte sie auf. Einfach so, ohne Anlaß. Ich musste das mit viel Styropor umwickelte Stück aus dem Kofferraum hieven und hereintragen.
»Ist sie nicht wunderschön?«, flötete Schwiegermama, als meine Älteste sie ausgepackt hatte. Unsere Begeisterung hielt sich in Grenzen, was Schwiegermama als Sprachlosigkeit vor Erstaunen mißdeutete.
Die fast ein Meter hohe Vase, einem Mostbembel nicht unähnlich, nur grösser, bekam von Schwiegermama sofort ihren Platz zugewiesen. Dieser war im Durchgang vom Esszimmer zum Wohnzimmer. Das war der denkbar schlechteste Platz, aber wir sagten nichts dazu.
Natürlich war es keine indische Vase, aber wir nannten sie spontan so, weil der Griff des Mostbembels einem Elefantenrüssel ähnelte und in Indien gibt es nun mal Elefanten.  Alles andere an der Vase war solide Handwerksarbeit. Es rankte sich allerlei Grünzeug um den Bembel, wohl Weinlaub darstellend. Der Vasenfuß selbst war mit Zitronen umgürtet. Das schreiende Gelb der Zitronen und das Giftgrün des Weinlaubs standen im grassen Widerspruch zum Terracottagrundton. Wir sagten immer noch nichts.
Nach Kaffee und Kuchen verabschiedete sich Schwiegermama überschwänglich. Sie warf noch einen Blick auf ihre Vase, rückte sie ein Ruckerl weiter in die Mitte und verschwand, nachdem ich Ihr Caprio rückwärts aus dem Hof herausgefahren hatte. Sie hatte es nie so mit dem Rückspiegel und dem Rückwärtsfahren.

© by Fabrizius

Keine Kommentare: