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Donnerstag, 23. März 2017

Gesang aus dem Kofferraum

Ich wohnte außerhalb Marburgs in der Stadtwaldstraße bei einer ganz lieben Familie, die das Kinderzimmer ihrer 12 jährigen Tochter für mich herrichtete. Studentenunterkünfte waren seinerzeit in Marburg rar.

Meinen R4 gab es noch nicht, aber einen Rally Kadett in silbermetallic mit Stahlschiebedach. Ein Gefährt mit zwei Vergasern. Mehr an Technik wusste ich nicht, nur, dass ein 1900er-Kubik-Motor aus ihm einen zornigen und schnellen Boliden machte.

Marburg war damals die letzte Stadt in Hessen, die, wenn man ein Ferngespräch nach ausserhalb führen wollte, keine automatische Fernwahl hatte. Man musste immer über das Fernamt das Gespräch anmelden und wurde vom »Fröllein vom Amt« weitervermittelt.

So richtig vorstellen kann man sich das heute nicht mehr. Damals kannten wir es nicht anders.

Das erste, damals noch analoge öffentliche Funknetz der Bundespost, gab es ab 1958. Es war als A-Netz bekannt.
1972 folgte das B-Netz.
Die darüber geführten Gespräche konnten von jedem einigermaßen in Funktechnik Versierten mitgehört werden.

Das B-Netz hatte 27 Tausend Teilnehmer deutschlandweit. Die Geräte waren wesentlich größer als ein Schuhkarton und noch mit Röhren bestückt. Wenn man sie vom Auto aus betrieb, musste der Motor laufen, sonst war die Batterie binnen null-komma-nix leer.

Unschwer erkennen Sie, dass sowas keine Option für uns Studenten war. Wir lebten damals um 1968/69 noch in der A-Netz-Ära, in einer handylosen Zeit.
Aber, wir waren ohne Smartphone mindestens genau so glücklich.

An einem wunderschönen Frühsommertag fuhren Hoss und ich raus aus Marburg zur Dammühle. Damals und wohl auch heute noch ein gut besuchtes Ausflugslokal.
Gisela war, aus was für Gründen auch immer, ausnahmsweise nicht dabei.

Dort gab es sehr gehaltvolle Beerenweine. Ich kann mich an Johannisbeer-, Erdbeer- und Brombeerweine erinnern.


Trotzdem bestellte jeder ein Bier, die Fruchtweine waren uns allesamt zu süß.

Am Nebentisch saßen vier Damen, die den Beerlesweinen zusprachen. Sie mussten schon eine Weile dort gesessen haben, denn die illustre Runde war uns durch Lachen und Kichern sowie mehrfachem Zuprosten aufgefallen.

Hoss ging an ihren Tisch und fragte, ob die Damen heute alle ihren Obsttag hätten. Als Antwort bekam er ein »selbstverständlich, jede Woche!«
Nun rückten die Ladys zusammen und wir setzten uns zu ihnen. Die frohe Runde wurde unterbrochen, als die Damen zum Aufbruch mahnten, sonst würden sie den Bus in die Stadt versäumen.

Auch jetzt war Hoss wieder zur Stelle und schlug ihnen vor, wir könnten sie ja in einem halben Stündchen mit zurück nach Marburg nehmen. Deshalb tranken sie noch einen allerletzten Beerleswein, dann brachen wir auf.

In meinem Rally Kadett waren die Sitzplätze begrenzt, deshalb setzte sich Hoss in den Kofferraum, der Deckel blieb offen. Drei Damen quetschten sich auf den Rücksitz und eine nahm auf dem Beifahrersitz Platz. Mit viel Hallo und Gekicher fuhren wir gemächlich Richtung Stadt. Hoss hantierte mit einem Regenschirm, den er im Kofferraum fand, herum und sang.
Die angeheiterte Lady neben mir, alle nannten sie Lotte, wies uns den Weg in eines der Marburger Neubaugebiete. Dort würde sie wohnen.

So einen schönen Nachmittag hätten sie lange nicht mehr erlebt, sagten sie unisono, als wir vor einem stattlichen Haus mit Vorgarten hielten. Ob wir nicht auf einen Drink hereinkommen wollten.
Wir schlugen die Einladung selbstverständlich nicht aus!

Aus dem einen Drink wurde ein zweiter und ein dritter. Die Kellerbar war exquisit eingerichtet und mit so manchem guten Tropfen bestückt.

Schließlich fuhr uns der mittlerweile nach Hause gekommene Ehegatte von Lotte spätabends nach Hause. Meinen Rally Kadett ließen wir vor dem Haus stehen, in der Hoffnung ihn am nächsten Morgen auf Anhieb wiederzufinden.

Ich pennte bei Hoss auf dem Fußboden mit lediglich einer Wolldecke als Unterlage.

Es dauerte, bis wir meinen Rally Kadett wiederfanden. In dem Neubaugebiet sahen viele Wohnstraßen ähnlich aus.

Gerade als wir wegfahren wollten, stand Lotte vor der Haustüre und bat uns auf einen Kaffee herein.
Wir nahmen die Einladung dankend an und meinten mit einem Augenzwinkern, wenn es denn beim Kaffee bleiben sollte, wären wir dabei!
Es blieb bei einem Kaffee, allerdings mit herrlichen Croissants.
Vorsichtig erkundigten wir uns noch, ob ihr Ehemann nicht sauer auf uns gewesen sei.

Mit einem »I wo!«, und einem Lachen verneinte sie das. Er sei einiges von ihr gewohnt und was Schlimmes sei nun mal gar nicht passiert.
Dann bestellte sie uns noch liebe Grüße von ihm.
So nebenbei erfuhren wir, dass er Honorarprofessor an der neurologischen Universitätsklinik sei.

Hoss und ich ließen es uns nicht nehmen, dem netten Herrn Professor Tage später eine edle Flasche Wein in die Klinik zu bringen. In seinem Arbeitszimmer plauderten wir noch ein wenig und schieden als Freunde.
Wir sahen uns nie wieder.

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