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Samstag, 18. März 2017

Schillerlocken in Marburg

Das Sommersemester ging zur Neige und unser Stiftungsfest rückte näher. Jede Studentenverbindung hat so ein Fest. Da wird mit viel Pomp und Tamtam ein ganzes Wochenende lang, meistens am Semesterende, gefeiert.

Zu unseren Festivitäten kamen zahlreiche Ehemalige mit der ganzen Familie. Diese Ehemaligen wurden und werden auch heute noch in allen Studentenverbindungen mit »Alter Herr« tituliert, da es sich um reine Männerbünde handelt.
Das klingt heute reaktionär und frauenfeindlich, war aber nun mal so!

 Unter uns Bundesbrüdern war man per du, egal ob Erstsemester, Konzernchef oder Universitätsprofessor.
Die wenigsten der »Alten Herren« waren Methusalems. Die meisten hatten Karriere gemacht und gewichtige Posten inne. Deshalb erhoffte sich so mancher aus unseren Reihen eine wohlwollende Förderung durch die »Alten Herren«.
Die Hoffnung war berechtigt, wie dutzende von Beispielen aus der Vergangenheit zeigten. Die Juristen unter uns konnten am meisten profitieren.

Ich war noch nicht so lange aktiv, gerade mal im 2. Semester. Ein Stiftungsfest hatte ich noch nie mitgemacht. Eine Freundin hatte ich auch keine, so wurde mir die Tochter eines »Alten Herren« zugeteilt, die ich zum Ball führen und betanzen sollte.

Der »Alte Herr« mit Gattin und Tochter würde am Freitagnachmittag mit dem Zug aus Hamburg kommen. Ich sollte sie am Bahnhof abholen,  zum Hotel geleiten und mich um die Tochter kümmern.

Niemand kannte den Knaben. Die letzten Jahre sei er jedenfalls nicht zum Stiftungsfest erschienen.

Internet gab es auch noch nicht, sonst hätte man die Sache sicher mal kurz googeln können.

Für mich sehr wichtig;
Wie sieht die Tochter aus?
Niemand wusste es.

Ich wurde die Tage vor dem Fest von so manchem Bundesbruder aufgezogen:
Da war von einem »Mauerblümchen« die Rede und von einer »grauen Maus«.

Auch derbere Sprüche bekam ich zu hören:
»Bestimmt hat sie krumme Beine und schielt!«

Vor einem »Besen« wurde ich gewarnt, »die will noch einen abbekommen!«.

Jedenfalls lachten sich die meisten schlapp, warum gerade ich dieses Los gezogen hatte. Auch mit gut gemeinten Ratschlägen wurde ich versorgt.
Ein paar fanden tröstende Worte, wie:
»In drei Tagen ist alles vorbei, Du musst nur durchhalten!«
Immer kam ein hämisches Grinsen hinterher.

Mir war schon ganz mulmig, als ich am Freitag in Richtung Hauptbahnhof marschierte. Ich war auf so Einiges gefasst.

Der D-Zug kam pünktlich, ICE oder sowas ähnliches gab es noch nicht.
Es stiegen eine Menge Leute aus. Da ich annahm, dass der »Alte Herr« eher im oberen Segment der Gehaltsskala angesiedelt war, postierte ich mich in der Nähe des  Erste-Klasse-Waggons.
Ich lag goldrichtig!

Ein graumelierter Herr im dunklen Anzug stieg aus dem Abteil. Er hatte sein Studentenkäppi, auch Biertönnchen genannt, mit unseren Verbindungsfarben auf.
Er half einer elegant gekleideten Lady aus dem Waggon.
Mir schlug das Herz bis zum Hals.

Ich machte mich bemerkbar, indem ich mit meiner Studentenmütze winkte und auf sie zuging.

Dann sah ich sie! All meine Sinne schlugen die wildesten Kapriolen. Mit allem hatte ich gerechnet, wirklich mit allem.
Damit nicht!
Überwältigt von dem süßesten Mädel im ganzen Erdenrund musste ich erst mal kräftig durchatmen. Nicht nur ihre schulterlangen blonden Schillerlocken waren eine Pracht.

Dann machten wir uns bekannt.

Der »Alte Herr« hieß Rüdiger und war Generaldirektor eines altehrwürdigen Hamburger Handelshauses. Seine Gattin, blond und alles andere als eine »kühle Norddeutsche« empfing mich mit einem herzlichen Lachen, dann schob sie ihre Tochter vor!
»Das ist Evelyn!«

Das Töchterchen machte einen auf ganz schüchtern, spielte mit ihren Schillerlocken und streckte mir die rechte Hand entgegen. Ihre Augen strahlten. Ich war hin und weg, aber sowas von hin und weg.
Ich hatte wohl auch bei ihr gepunktet.

Rüdiger rief ein Taxi, die Koffer wurden eingeladen, dann ging es zum besten Hotel am Platz. Unterwegs gab es den ersten Smalltalk. Er wollte wissen, was ich studierte, Hobbys und halt alles, was man so beim Kennenlernen fragt.

Ich erfuhr, dass Evelyn gerade siebzehn geworden sei und das erste mal einen Stiftungsball besuchte.
Wie sie mir später erzählte, wollte sie gar nicht mitfahren.

Am Hotel angekommen nahm mich Rüdiger zur Seite, steckte mir ein paar Scheinchen zu und meinte, ich solle seiner Tochter Marburg zeigen.

Zunächst bezogen sie ihre Zimmer, ich wartete solang im Foyer.

Flugs zählte ich die Moneten, die er mir zusteckte.
Hundert DM, eine Menge Geld damals in den Siebzigerjahren.

Nach wenigen Minuten eilte Evelyn die Treppe herunter.
Mein Herz sprang vor Freude.
Die werden alle Stielaugen machen, wenn wir auf dem Stiftungsball erscheinen!

Gut zwei Stunden tobten wir durch die Marburger Oberstadt, tranken irgendwo einen Kaffee, alberten herum und vertrieben uns die Zeit bis 19 Uhr. Dann sollten wir wieder im Hotelfoyer sein.

Den Abend verbrachten wir zu viert in KARZER, einer altenehrwürdigen Studentenkneipe, aus der der Herr Papa seinerzeit schon den einen oder anderen Rausch nach Hause schleppte, wie er uns gestand.
Rüdiger blühte auf. Er erzählte Anekdoten aus seiner Studentenzeit. Wir lachten viel, und hatten einen kurzweiligen Abend.
Von Evelyn erfuhr ich, dass sie später mal Literatur und Germanistik studieren wolle.

Hundemüde sank ich kurz vor Mitternacht in mein Bett.
Ich freute mich riesig auf den Stiftungsball am Samstagabend.
Alle werden sie vor Neid erblassen. So von wegen Mauerblümchen und graue Maus.


Die Ballnacht

Traditionell eröffneten die Mediziner mit einem Walzer den Stiftungsball. Ich war mit Evelyn einer der ersten auf der Tanzfläche.

In einem atemberaubenden Ballkleid, in tiefem Blau gehalten, zog sie alle Blicke auf sich.

Und ich, ich alleine hielt sie im Arm und schwebte mit ihr über das Parkett. Ihre Schillerlocken flogen im Takt. Es war fantastisch!
Meine Bundesbrüder bekamen Stielaugen. Allesamt kamen sie aus dem Staunen nicht heraus.

In dieser herrlichen Spätsommernacht schlenderten wir über die weitläufige Terrasse, plauderten über dies und jenes, immer verfolgt von den Blicken meiner Bundesbrüder..

Einen Tanz absolvierte ich mit Evelyns Mutter, das gehört sich einfach so. Währenddessen bemühte sich der Papa um seine Tochter und versuchte sich im Diso Fox.
»Paps kann überhaupt nicht tanzen!«, bemerkte Evelyn hinterher. Ich hingegen bekam von ihrer Mutter ein dickes Lob ob meiner Tanzkünste.
Ohne jetzt angeben zu wollen, ich war ein guter Tänzer!

Wir ließen so gut wie keinen Tanz aus.
Mit Argusaugen überwachte ich eventuelle Konkurrenz, die Evelyn auffordern wollten.
Sie kamen allesamt zu spät, weil wir vor ihren Augen auf die Tanzfläche flogen.
Ich ließ niemandem eine Chance! Es war unsere Ballnacht!

Die kleinen sind die Sektzipfel


Um Mitternacht überreichte ich ihr ein Weinband, auch »Sektzipfel« genannt mit einer Widmung drauf. Das war damals so üblich.

Gegen drei Uhr brachte ich Evelyn zurück zum Hotel. Ihre Eltern hatten sich schon vorher zurückgezogen.

Wir verabredeten uns für Sonntagmittag zum Essen.

 Ich muss gestehen, es kam bei mir so etwas wie Wehmut auf, als wir zusammen im Restaurant saßen. Ich stocherte in meinem Menü herum. Immer und immer wieder kamen die berauschenden Bilder der Ballnacht hoch.

Um 15 Uhr ging der Zug.
Beim Abschied auf dem Bahnsteig schlug mir Rüdiger auf die Schulter: »Du bist der erste Mediziner, den ich leiden kann!«, beteuerte er. Er war Jurist.

Ich verabschiedete mich von Evelyns Mutter. Sie gab mir einen flüchtigen Wangenkuss und meinte, wenn ich irgendwann mal in Hamburg sei, solle ich doch vorbeischauen.

 Evelyn sagte ein schlichtes »Danke, es war sehr schön mit Dir!«, dann hauchte sie mir einen Kuss auf die Backe.
Er brannte wohlig wie Feuer.
Das war's dann!

Ich sah sie nie wieder.
Die Erinnerung an Evelyn mit ihren Schillerlocken verblasste.

Viel Jahre später war ich oft in Hamburg.
Das Erlebnis einer wunderbaren Ballnacht konnte mir niemand nehmen. Das wollte ich so in Erinnerung behalten.

Seit meiner Studentenzeit war ich nicht mehr in Marburg.
Es war eine intensive Zeit.
Vielleicht hatte ich Angst davor, diese Erinnerungen durch einen neuerlichen Besuch zu zerstören.

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